Was wissen wir über Kambodscha? Hmm. Pol Pot, rote Khmer, Landminen. Es liegt in Südostasien und soll weniger entwickelt sein als seine touristisch erfolgreicheren Nachbarn. Was uns als Reisende erwartet? Wir haben keine Ahnung.
Sicher ist, Kambodscha ist ein typisches Ziel für Langzeitreisende. Pauschalurlauber verirren sich hier noch selten hin, Kurzurlauber zieht es in die besser erschlossenen Nachbarländer.
Nur wenige Kilometer hinter dem chaotischen Grenzübergang erstrahlen die ersten Reisfelder. Wir bereisen das Land im Oktober. In dieser Jahreszeit stehen viele Felder kurz vor der Ernte. Die sorgfältig angelegten Parzellen wirken fast wie Kunst und die grünen Reisähren leuchten magisch in der Sonne.
Zwischen den Feldern spielen Kinder in den Wasseradern, Jugendliche stehen mit Angeln oder Fischernetzen daneben, die weiten Hosen bis zu ihrer Hüfte hochgeknotet. Die älteste Generation beobachten das Treiben aus ihren Hängematten am Strassenrand.
Siem Reap und Angkor Wat haben wir in einem vorangegangenen Beitrag ausführlich beschrieben. Daher beginnt die Reisebeschreibung bei der Abreise aus dem Tempelmekka.
Von Siem Reap fahren wir mit dem Nachtbus über Phnom Phen nach Sianoukville. Sianoukville (Snookyville oder einfach Snooky) Town hat einen ähnlich guten Ruf wie Thailands Pattaya. Nicht nur deshalb suchen wir uns einen gemütlichen Bungalow, der etwa 10 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums liegt.
In den vergangenen Wochen haben wir gefühlt 1000 Tempel besucht und benötigen jetzt eine Kulturpause. Im englischen bezeichnet man unseren Zustand als ¨templed out¨, was sich ungefähr mit Tempel-Burnout übersetzen lässt.
Die nächsten Tage entfernen wir uns nicht weit von unserem Bungalow. Wir verbringen die meiste Zeit in den Schaukelstühlen auf unserer Terrasse, blicken auf das Meer oder lesen stundenlang.
In Sianoukville lassen wir auch unsere Visa für Vietnam anfertigen. Das funktioniert hier sehr unbürokratisch. Rein in das Konsulat, der Wachmann am Eingang blickt nur kurz von seiner Zeitung auf, Formular ausfüllen, Pass, Foto, Bearbeitungsgebühr aushändigen, Quittung entgegen nehmen und am nächsten Tag wieder kommen. Fertig.
Einen Nachmittag verbringen wir dann doch an Sianoukvilles verrufener Strandpromenade. Länger als ein Mittagessen halten wir es dort nicht aus. Während des Essens besuchen uns so viele Massage-Mamas und Nageltanten, dass wir für jeden Finger und jeden Zeh eine individuelle Pflegekraft engagieren könnten. Das andere Geschlecht versucht unentwegt Qualitätssonnenbrillen zu verkaufen.
Leider fühlen wir uns weder verspannt, noch haben wir Bedarf an einer Zweitbrille. Die Verkäufer und Servicekräfte sind zwar allesamt freundlich, aber durch die Frequenz ihrer Besuche mutiert unser Essen zur Nebensache. Wenigstens bekommen wir in Sianoukville zum ersten Mal seit Beginn unserer Reise Gras angeboten.
Ohne das Gras fahren wir am folgenden Tag mit dem Bus nach Kampot. Wir wollen wieder mit unserem vertrauten Busunternehmen GiantIbis fahren. Denn in ihren Bussen kann man sich auf das Vorhandensein von Gurten, einer Klimaanlage und sogar WLAN verlassen. Doch die Buchung geht schief. Statt in einem ordentlichen Minibus sitzen wir in einer der hier üblichen Selbstmordkapseln auf vier Rädern. Keine Gurte, kein Reifenprofil und die Sitze wackeln bedenklich in ihren Verankerungen. Nichtmal Anlehnen kann ich mich, da sonst der Sitz nach hinten auf einen anderen Passagier umklappt. Wenigstens dauert die Fahrt nach Kampot nur etwas über zwei Stunden.
Kampot ist eine kleine Stadt, die am Teuk Chhou Fluss liegt. Gebäude aus der französischen Kolonialzeit säumen das Flussufer und in den schmalen Gassen finden sich zahlreiche Restaurants, Gästehäuser und Pensionen. Besondere Sehenswürdigkeiten findet man hier nur auf dem Teller, denn die Region ist seit der französischen Okkupation weltweit bekannt für den Pfefferanbau.
In Kampot nimmt uns gleich ein freundlicher Tuktukfahrer in Empfang. Nach knallharter Verhandlung einigen wir uns auf den Fahrpreis von einem Dollar. Wie so häufig haben wir vorher recherchiert und halten den Preis für angemessen.
Nach einer Zigarettenlänge fahren wir los. Einmal rechts abbiegen, 150 Meter gerade aus, links abbiegen, 50 Meter gerade aus und wir sind da. Unsere Fahrt hat weniger als eine Minute gedauert und unser Fahrer freut sich über seinen Dollar. Statt am Busbahnhof (von dem aus ein Tuktuk 1$ kosten soll), sind wir mit dem Überlandbus im Stadtkern von Kampot angekommen. Von dort sind alle Gästehäuser und Hotels leicht zu Fuß erreichbar – selbst mit 15 Kilo auf dem Rücken.
Kampot hat Charme, gerade weil offensichtliche Sehenswürdigkeiten fehlen und damit die Touristenmenge überschaubar bleibt. Die Stadt ist ein guter Ausgangspunkt um den Bokor-Nationalpark zu erkunden. Einst ein Kleinod der Natur, rollen leider seit einiger Zeit chinesische Investoren Planierraupen durch den Urwald, um Platz für eine Retortenstadt zu schaffen.
Über dem Nationalpark (und mittlerweile auch den Baustellen) trohnt das Bokor Palace, ein altes verfallenes Kolonialhotel aus den 1920er Jahren. Wir begleiten eine geführte Tour, um diese Ruine zu besichtigen, werden jedoch von dem sterilen Zustand des Bauwerks enttäuscht. Statt morbidem Charme ähnelt das Gebäude mehr einem Rohbau aus Beton. Die Struktur gäbe immerhin eine passable Counterstike-Map ab… Bokor Mansion.
Trotzdem lohnt sich unsere Tour, denn wir treffen Christian aus Berlin. Er ist alleine unterwegs und wir treffen uns auch am folgenden Tag zu einer Radtour. Nach einer kleinen Stadtrundfahrt fahren wir ein bisschen aufs Land. Kampot hat ein altes Gefängnis, einen Markt, eine Uferpromenade und … das Moskito Hilton, ein Wasserloch das die Stadtkarte grossspurig als Teich ankündigt.
Auf dem Land fühlen wir uns ein bisschen wie die ersten weissen Entdecker. Unterwegs winken alle Kinder und Erwachsene, wie wenn sie zum ersten Mal einen bleichen Mann sehen. Wir haben einen Riesenspaß und winken begeistert zurück. Leider müssen wir unsere Tour wegen Regens etwas früher abbrechen.
Während wir noch ein paar Tage in Kampot bleiben, reist Christian weiter. Er wird nach einem kurzen Abstecher an den Mekong nach Vietnam fliegen und von Saigon im Norden Vietnams nach Süden reisen. Isi und ich wollen Vietnam auf dem Landweg erreichen und uns von Ho Chi Min im Süden nach Sapa im Norden durcharbeiten.
Doch auch Kambodscha hat noch interessante Ziele zu bieten. Bevor wir Kampot verlassen, machen wir einen Abstecher in das 20 Kilometer entfernte Kep. Die Stadt liegt direkt am Meer und ist für seinen Krabbenmarkt und jede Art von Meeresfrüchten bekannt.
Wie frisch das Getier ist, können wir von unserem Restaurant an der Uferpromenade gut beobachten. Etwa drei Meter vom Strand entfernt liegen Bastkörbe im Wasser. Je nach Bestellung wird ein Korb aus dem Wasser gezogen, das bestellte Tier entnommen und in den Kochtopf geworfen. Frischer geht es nicht. Nur die Frauen tun uns ein bisschen leid, die mit Salzwasser-durchtränkten Hosen den ganzen Tag im Meer stehen müssen.
Vor Feuchtigkeit sind wir aber auch im Restaurant nicht sicher. Ein monsunartiger Wolkenbruch verlängert unseren Besuch ungewollt und setzt auch gleich das ganze Restaurant unter Wasser. Die Kellner sind zwischendrin nur noch mit Wasserschöpfen beschäftigt, das sich knöchelhoch auf dem Fußboden staut.
Von Kep geht es wieder zurück nach Kampot und von dort mit dem Bus nach Phnom Penh. Der Verkehr hier in Kambodscha ist bemerkenswert. Eigentlich müsste alle 10 Meter ein Mopedfahrer an einer Palme kleben und ein LKW oder Bus im Graben liegen. Defensiver Fahrstil wird hier offensichtlich als Schwäche angesehen.
Sicherheitsabstand, Spurtreue, Höchstgeschwindigkeit und Verkehrszeichen sind hier Empfehlungen, an die sich niemand hält. Westlichen Besuchern kann man nur empfehlen, im Bus nicht aus der Windschutzscheibe zu blicken, sonst rutscht das Herz im Minutentakt in die Hose. Ein gesunder Glaube ist hier im Verkehr unerlässlich.
In Phnom Penh besuchen wir das Tuol Sleng Museum, auch bekannt auch als S-21. Die ehemaligen Schulgebäude mitten in Kambodschas Hauptstadt wurden während der Herrschaft der roten Khmer zu einem Gefängnis für Parteigegner und Dissidenten umgewandelt.
In den Zellen befindet sich heute eine Ausstellung. Neben den Fotos der Häftlinge, Folterwerkzeugen und Schriftstücke aus der damaligen Zeit, kann der Besucher frei durch die ehemaligen Zellenblöcke wandern. Ein bedrückendes Erlebnis, das unsere Sicht auf Kambodscha ebenso prägt, wie der Besuch im Landminen-Museum in Siem Reap.
Viel ist in den Gebäuden des S-21 nicht verändert worden. In einigen Zellen stehen noch immer die metallenen Bettgestelle auf denen die Inhaftierten schlafen mussten und auch Folterinstrumente sind noch zu sehen. Auffällig sind die unzähligen dunklen Flecken auf den Fliesenböden. Egal in welchem Gebäude und Raum, der Boden erzählt mehr Geschichten von den Gräueltaten als jede Infotafel.
In einem der Räume werden Schädel ausgestellt, deren ehemalige Besitzer durch unterschiedliche Ursachen zu Tode gekommen sind. Die kleinen Infoschilder weisen auf die Todesursache hin: Kopfschüsse, Schläge mit spitzen oder stumpfen Gegenständen… In einem Wandschrank stapeln sich die Schädel bis zur Decke. Als die vietnamesische Armee das Gefängnis 1979 befreite, hatten nur sieben von schätzungsweise 14.000 inhaftierten Menschen überlebt.
Wer heute vor die Tore der Gedenkstätte tritt, steht wieder mitten im Leben von Kambodschas Hauptstadt. Straßenhändler versuchen ihre Ware an die Touristen zu bringen und Tuktukfahrer lauern auf ein Geschäft.
Kratie, eine kleine Stadt in Kambodschas Osten, ist Touristen und Tierschützern hauptsächlich deshalb ein Begriff, weil sich in unmittelbarer Nähe die letzten Exemplare der Irrawaddy-Süßwasserdelphine im Mekong tummeln. Sonst hat Kratie kambodschanisches Landleben zu bieten. Wasserbüffel, Reisfelder, Mopeds, alte Fahrräder und klapprige Hütten, die auf Stelzen stehen.
Kratie ist aber auch touristischer Knotenpunkt. Von hier kann man unkompliziert nach Laos einreisen oder etwas komplizierter nach Vietnam. Das sagen jedenfalls unsere Rechercheergebnisse. Der Blick auf die Delphine (oder besser Delphinrücken) ist unspektakulär, das Essen mittelmässig, das Hotel etwas teuer und so wir bleiben nur zwei Nächte, um unsere Weiterreise zu organisieren.
Immerhin organisiert uns das River Dolphin einen ordentlichen Transfer nach Vietnam. Der Preis für das Ticket nach Ho Chi Min City ist zwar etwas höher als erwartet (knapp über 20$ pro Person), aber dafür bekommen wir mit dem hauseigenen Tuktuk-Fahrer einen Begleiter, der nicht von unserer Seite weicht, bis wir im richtigen Bus nach Vietnam sitzen. Er winkt nicht nur den Bus heran, er kauft uns sogar ein Klebereis mit Nüssen, der in Bambusstangen gegaart wird. Auch der Bus ist für hiesige Verhältnisse ein recht anständiges Modell mit Liegesitzen. Die sind allerdings nur für Menschen bis 1,50m komfortabel nutzbar, was selbst uns zu abenteuerlichen Verrenkungen zwingt.
Den Grenzübergang Trapaeng Sre nach Vietnan überschreiten wir problemlos. Der kambodschanischen Grenzposten fragt freundlich wie uns Kambodscha gefallen habe und ob wir wiederkommen werden. Zufrieden mit unseren Antworten und mit einem Lächeln auf den Lippen bekommen wir unsere Pässe zurück.
Nach einem kleinen Fußmarsch durch das Niemandsland stehen wir bei den vietnamesischen Kollegen. Laut Internet wird Besuchern bei der Einreise nach Vietnam gerne „Fieber gemessen“, gegen eine kleine Gesundheitsspende von nur einem Dollar. Isi und ich haben schon die passenden Scheine in der Tasche, falls wir uns den Weg freikaufen müssen.
Doch der vietnamesische Beamte checkt gleichgültig unsere Visa und stempelt die Pässe. Die Scheine bleiben in der Tasche und die obligatorische Fiebermessung scheint jedenfalls heute auszufallen. Wenige Stunden nachdem wir den Grenzübergang verlassen haben, erreichen wir mit dem Bus Ho Chi Min Stadt.
Und unsere Erwartungen? Hier in Kambodscha haben wir wieder sehr nette Menschen getroffen, im Verkehr das ein oder andere Mal um unser Leben gefürchtet und haben sicher häufiger drauf gezahlt, als in Thailand. Wie in allen südostasiatischen Ländern zahlen westliche Urlauber andere Preise als Einheimische. Die Schere lässt sich mit etwas Verhandlungsgeschick minimieren, jedoch fanden wir es hier besonders schwer ordentliche Preise zu erzielen. Dennoch lohnt eine Reise nach Kambodscha ohne Frage. Mit Kampot haben wir einen der schönsten Orte unserer bisherigen Reise entdeckt und in Snooky einen der schönsten Strände (Otres 2).
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